Eigentlich wollte ich nur eine Rezension des neuen und letzten Röyksopp-Albums “The Inevitable End” verfassen.
Aber nachdem TIE das letzte Werk im traditionellen Albumformat von Röyksopp sein wird, muss ich eigentlich erst einmal eine persönliche Liebeserklärung an Röyksopp loswerden:
Svein & Torbjørn:
DANKE für 15 Jahre fantastische Alben und diverse Bonustracks!
DANKE, dass Ihr immer auf dem Boden geblieben seid.
DANKE, dass Ihr Journalisten reihenweise verarscht habt, die nichts von Eurer Musik verstanden und nur Klischees von Eisbären und norwegischer Einsamkeit schreiben wollten – aber Euch immer Zeit für die genommen haben, die Eure Arbeit wertgeschätzt haben.
Und DANKE für viele tolle Live Shows – anfangs nur Ihr beiden als Opening Act für Moby 2002 mit einem Korg MS-20, dann vielerorts mit Ole dem Bassist und Anneli Drecker, und nach vielen weiteren Begleitungen natürlich auch die 150 Minuten Shows mit Robyn in 2014.
Wer Röyksopp wirklich wertschätzen und verstehen möchte, muss ganz früh anfangen: Nämlich im Jahr 2000.
Spiller hatte mit “Groovejet (If This Ain’t Love)” einen Riesenhit gelandet, ließ sich mit dem Nachfolger “Cry Baby” aber mehrere Monate Zeit. Und zwar aus gutem Grund: Der Track war obskur, nicht tanzbar, grauenhaft. Spiller war direkt wie Modjo, Modo und Psy zum One-Hit-Wonder geworden.
Nur wenige Menschen nahmen sich folglich die Zeit, die Remixe von “Cry Baby” anzuhören: Ein schwerer Fehler.
Denn Röyksopp schafften es mit ihrem ersten Remix überhaupt, ein katastrophales Klangmonster in einen traumhaft schönen Chill-Out-Track zu verwandeln…
Kaum eine andere Band hat es in 15 Jahren so oft geschafft, sich neu zu erfinden, und sich selbst doch treu zu bleiben
Wer den “Röyksopp’s Målselves Memorabilia Mix” von “Cry Baby” einmal gehört hatte, der wollte auch mehr hören.
Und mehr kam in Form von “Melody A.M.“ – nach Ansicht von vielen Musikjournalisten von vorne bis hinten eines der besten Alben aller Zeiten.
In England wurde das Album dementsprechend auch mehr als 500.000mal als CD verkauft, während sich Röyksopp in Deutschland noch 2002 als Vorgruppe von Moby auf dessen Deutschlandtournee abrackern mussten.
Auch wenn sie damals noch 26 Jahre alt waren, hatten sie doch schon viel musikalische Erfahrung, denn sie kannten einander schon, seit sie 12 Jahre alt waren. Als Teenager fragten, sie sich dann wie Sachen wie Musik und Spezialeefekte in Filmen gemacht werden.
“Wir haben überlegt, wie Leute ihre Musik so hinkriegen, dass sie so klingt, wie sie klingt. Wir fingen mit etwas programmieren an, dann mit einem Commodore 64, und dann mit PCs.
Damals waren wir sehr arm und konnten uns kein Equipment leisten. Wir haben Leute angefleht, uns Sachen zu leihen, und damit dann das Minimumequipment gehabt, ein Record Set, einen Sampler und einen Atari.
Wir machten diesen Track “So easy” und verbrachten dann den Großteil unserer Tage in den Bergen, und gingen nachts zu Clubs. Irgendwie mußten wir einfach Musik machen, aber wir hatten nicht den Plan, ein Album zu machen. Und als wir dann eine 7-Inch mit einer Auflage von 500 Stück auf den Markt brachten, fingen wir plötzlich an, Anrufe aus ganz Europa zu bekommen…”
Was Röyksopp schon seit ihren ersten Releases auszeichnet, ist Integrität. Ihr Motto kann man durchaus als “Das Beste oder nichts” beschreiben…
“Du wagst nichts, wenn du deine Musik für TV oder Radio formatierst. Und es gibt eine Menge Musik dieser Art.
Wir wollen keine Musik machen, die die Welt einfach nicht braucht. Wir wollen keine Musik machen, die einfach funktioniert, denn das können wir. Aber dann werfen wir sie weg. Wenn wir etwas anfangen, und wir das Gefühl haben, dass es ‚funktioniert’, aber nichts Besonderes dabei ist, dann schalten wir die Sampler und Computer aus und löschen das Aufnahmemedium, so dass alles gelöscht ist und ins Datennirvana verschwindet.
Aber manchmal machen wir Songteile, die mit uns kommunizieren. Diese Sachen streiten mit uns und überzeugen uns, dass sie lebendig bleiben und Leute erreichen wollen. Und wenn wir das erleben, dann fühlen wir, dass wir etwas haben, was die Welt braucht.”
Auf “Melody A.M.” folgte 4 Jahre später “The Understanding“.
Im Vergleich zum Debutalbum war die zweite CD der Norweger wesentlich flotter, aber zugleich auch etwas düsterer und melancholischer. Gleichzeitig bot es aber auch mit Songs wie “Only this Moment” den ersten Ausflug in die Welt des Pop.
Deutlich markanter als bei “Melody A.M.” wirkten auch die Vocals, was bei den unterstützenden Sängern wie Chelonis R. Jones, Karin Dreijer Andersson von The Knife und Kate Havnevik mit ihren allesamt sehr einzigartigen Stimmen auch kein Wunder war.
“What else is there” mit seinem hervorragenden Trentemöller-Remix dominierte anschließend auch die Dancefloors der Welt wie zuvor und danach kein anderer Röyksopp-Track. Das von Martin de Thurah dirigierte Video war ebenfalls dunkel wie kaum ein Element auf “Melody A.M.”
In jedem Fall war “The Understanding” eines nicht: Ein Imitat des Debutalbums.
Auf “Junior“, dem nächsten Album von Röyksopp, wurde wieder alles anders: Denn die meisten Songs waren purer Pop. Nur in einem blieben sich die beiden treu: Ihre Lieblingssynthesizer, der Roland Juno-106 und der Korg MS-20 mit seinem fetten Bass, und mehrere der Kollaboratoren der Vergangenheit (Karin Dreijer Andersson und Anneli Drecker) fanden ebenso ihren Platz wie Robyn und Lykke Li.
Als Ende 2009 dann die ersten Gerüchte aufkamen, dass Röyksopp auch ein Album namens “Senior” veröffentlichen wollten, das ein dunkler, alter und ruhiger Kontrast zum infantilen “Junior” sein sollte, nahm ich das erst einmal gar nicht ernst.
Aber Röyksopp hatten einmal mehr Musik gemacht, von der sie glaubten, dass sie das Tageslicht erblicken sollte. Oder zumindest das dunkle Nicht-Licht der Nacht, mit treibenden Beats, ruhigen Sounds, aber ohne wirklich Vocals und definitiv ohne jegliches Radio-Airplay-Potential.
Die Dunkelheit von “Senior” haben Röyksopp nun, 2014, mit “The Inevitable End” nicht wirklich abgelegt – aber sie drücken sie anders aus.
“The Inevitable End” hat mit “Monument (T.I.E. Version)”, “Sordid Affair”, “Running to the Sea” und “Save me” durchaus vier Songs, die man auch im Radio spielen könnte. Aber viele Geschichten, die die Songs erzählen, sind voll Traurigkeit, voll Sehnsucht, voll Hoffnungslosigkeit.
Neben den drei erwähnten, wirklich herausragenden Tracks finden sich mit den von Jamie McDermott von den Irrepressibles begleiteten Liedern auch Tracks, deren gleichmäßiger Beat melodisch eigentlich nur von recht seichten Vocals begleitet und dadurch austauschbar wird.
Austauschbar wollten Röyksopp nie sein. Vielleicht ist die Ankündigung, keine Alben mehr zu machen, auch deshalb als Commitment zu ihrer Integrität zu sehen, auch bald im Alter von 40 Jahren als Familienväter nur noch wirklich Musik dann zu veröffentlichen, wenn sie etwas Besonderes ist und den Weg in unsere Ohren finden möchte.
Und als Fan bleibt nur zu hoffen, dass die traurigen Vocals nichts mit den Gefühlen von Svein & Torbjørn zu tun haben – denn am Ende sollten wir alle am besten “Happy Up Here” und “Triumphant” – nicht “Dead to the World”.